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Mein Hörtipp: Christoph Ullrich: Domenico Scarlatti: Complete Piano Sonatas Vol. 7

Ich hatte Ihnen vor ein paar Wochen hier mit großer Freude bereits die „Vol. 5“ vorgestellt. Wer diese Serie nicht kennt, wird vielleicht etwas überrascht sein, aber das alles hat einen übergeordneten Sinn, denn Christopher Ullrich, dieser ungemein sympathische Pianist, spielt alle 555 Cembalosonaten von Domenico Scarlatti ein.

Das TACET Label hat nun wieder 2 hervorragend aufgenommene CDs („zum Preis von einer“) vorgelegt. Die K. 236 – K. 265 ( K. = Das Verzeichnis von Ralph Kirkpatrick; 1-555). Übrigens hat Christoph Ullrich Volume 11, 14, und 15 zuerst aufgenommen und ediert, bevor er dann auf die Nr. 1 die Nr. 2 bis Nr. 7  folgen ließ. Es gibt somit insgesamt schon 10 Volumes von insgesamt 17. Davon sind zwei auf drei CDs verteilt, da sie einfach umfangreicher sind. Aktuell sind also 22 CDs von 36 auf dem Markt. Die Nr. 8 wird gerade geschnitten, ist aber schon länger im „Kasten“. Also hat er  mit 385 Sonaten schon deutlich mehr als die Hälfte aufgenommen und hofft, dass er weiterhin im Plan bleibt und 2027 die letzte CD aufnehmen kann. 

Und was soll man sagen? Was soll man schreiben zu einem Pianisten, der sich dieses Mammutwerks angenommen hat und wie kaum ein anderer sich so intensiv mit allen Cembalosonaten von Domenico Scarlatti, diesem großen Komponisten des 18. Jahrhunderts, auseinandergesetzt hat?

Nun, ich könnte Ihnen wie in der anderen Besprechung auch die Brillanz erläutern und die hervorstechende Empfindamkeit mit der Ullrich hier spielt. oder die herausragende Technik, die er niemals in den Vordergrund, sondern alein in den Dienst der Musik stellt. Aber das alles kennen Sie schon, oder können es, s.u., einfach in meiner anderen Besprechung nachlesen.

Ja, auch in der Vol. 7 hat Ullrich wieder deutlich gemacht, dass er sich in beeindruckender Art und Weise in die tiefsten Intentionen der Musik Scarlattis hineinversetzen kann und diese, nicht zuletzt durch das Spielen auf einem „modernen“ Klavier, ins 21. Jahrhundert „geholt“ hat.

Die Mehrzahl der meist einsätzigen Sonaten sind in zwei jeweils 15 Bände umfassenden Sammlungen überliefert worden, die alle höchstwahrscheinlich von Antonio Soler im Auftrag der spanischen Krone angefertigt wurden.

Alles das ist klassisches Rezensionshandwerk…und das werde ich heute mal nicht nutzen…sondern Ihnen etwas anderes erzählen:

Wie gesagt, habe ich Christoph Ullrich persönlich kennenlernen dürfen und daher sind seine in den Liner-Notes angegeben eigenen Hintergründe zu der Musik Scarlattis umso interessanter.

Zunächst sagt Ullrich selbst, dass die Beschäftigung mit einem solch großen Werk eine „Lebensreise“ sei und das ist sehr gut nachvollziehbar. Wenn man sich so intensiv mit der Musik eines Komponisten auseinandersetzt, erarbeitet man sich nicht nur einzelne Werke oder deren Bestandteile. Man erlebt bewusst oder unbewusst viel mehr: Die Cembalosonaten begleiteten Domenico Scarlatti bei deren Entstehung selbst über einen längeren Zeitraum und jeder Komponist, ebenfalls bewusst oder unbewusst, lässt sein jeweiliges Leben mit allen Umständen mit in die Musik mit einfließen.

Wir allen hören heute andere Musik als noch von 10, 20 oder 30 Jahren. Alle Menschen entwickeln sich (ohne diese immer nur als „besser“ bewerten zu wollen) und daher fließen auch bei den Komponisten andere Einflüsse mit in ihre jeweiligen Arbeiten ein. Wenn nun ein Vollblutpianist wie Christoph Ullrich sich über einen sehr langen Zeitraum mit einer solch großen Menge an Musik eines Komponisten beschäftigt, und zwar so intensiv, dass er diese jeweils auf CD aufnehmen kann, dann „weiß“ er einfach mehr darüber.

Ich selbst hatte, obwohl kein Berufsmusiker, ein ähnliches, wenn auch viel kleineres Erlebnis. Wenn man die Matthäus Passion von Johann Sebastian Bach hört, ist man in der Regel schon beim ersten Hören tief ergriffen. Die nahezu überirdisch erscheinende Schönheit nimmt einen gefangen. Dennoch: Hört man die Passion öfter, erschließen sich immer wieder neue Strukturen und Feinheiten. Und selbst beim 500 Hören (ich habe die Matthäus Passion sicherlich noch viel häufiger gehört…) sind die eigenen Reaktionen, Gefühle und Empfindungen wieder neu.

Ja, und wenn man sich mit den Hintergründen, der Zeit, die Lebenssituationen und die Gründe der Entstehung beschäftigt, hört man sofort wieder etwas Neues in dem Werk. Nicht zuletzt die zahlreichen und doch so unterschiedlichen Aufnahmen der Passion allein in den letzten 50 Jahren zeigen dies ebenfalls sehr deutlich.

Warum ich hier so abschweife? Nun, wenn Christoph Ullrich auf seiner eigene Lebensreise mit den Cembalosonaten von Domenico Scarlatti von seinen sehr persönlichen Erfahrungen spricht, die er in der Corona-Zeit selbst mit der Musik gemacht hat, dann berührt das nicht nur die Hörer:innen, sondern sie machen deutlich, wie sehr er diese Musik nicht mehr nur spielt, sondern sie praktisch lebt.

Und das hört man auch bei der hier vorliegenden Vol. 7. Ich habe an einem sehr kalten und windigen Samstag gleich 4 der CDs aus der Serie unmittelbar hintereinander gehört und es war wundervoll, was diese Musik mit einem machen kann. Das Wetter war so mies, dass man wirklich nicht mal vor die Türe treten konnte. Bei einer großen Kanne mit wundervoll duftendem Tee und einem leise knisternden Feuer im Kamin hat mich diese mehrstündige „Vorstellung“ so tief berührt und entspannt, dass ich danach fast die ganze Nacht mit sehr großer Freude weiter und sehr glücklich Musik gehört habe.

Die „Lebensreise“ von Christoph Ullrich mit den 555 Cembalosonaten von Domenico Scarlatti ist ein Kulturgut, das weit über jede einzelne CD hinausgeht.

Wir alle müssen endlich den vielen Musiker:innen danken, die sich trotz der Beschränkungen durch die Coronazeit und den daraus für so viele von Ihnen entstandenen persönlichen Rückschlägen, u.a. durch Auftrittsverbote, sich nicht davon abhalten ließen, uns mit ihren Werken zu „versorgen“, auch wenn unsere Politiker:innen und scheinbar nicht wenige in unserer Gesellschaft der Ansicht sind, dass Kultur nicht wichtig sei.

Danke auch nochmal an Christoph Ullrich für seine großartige Arbeit. Honorieren Sie diese doch einfach, in dem Sie diese CDs für sich kaufen oder an andere verschenken. So haben Sie quasi eine kulturelle WinWin Situation für sich und den Musiker geschaffen.

Hören Sie sich die Aufnahmen an und ich wette mit Ihnen, dass Sie schon nach wenigen Sonaten wissen, was ich meine.

Ich werde mit alle Aufnahmen kaufen und freue mich jetzt schon darauf, wann immer ich will, mir diese anhören zu können.

Wann und sooft ich will. Für immer. Etwas, was in Zeiten des reinen Streamings bald vielleicht wieder zu einem echten Luxus wird…

https://www.tacet.de/main/seite1.php?language=de&filename=production.php&bestnr=02710

http://www.christophullrich.de/

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