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Mein Hörtipp: James Brandon Lewis Quartet: Code of Being

Energie. Das ist das erste Wort, dass auf meinem Hörzettel steht. Und am Ende des ersten Hördurchgangs, stand es gleich 4 (!) mal darauf. Das erinnerte mich an etwas… Schnell nachgesehen und etwas zurückgeblättert im Notizbuch und schon wusste ich wieder woran: Meine Hörnotizen zum Album „Molecular“ des „James Brandon Lewis Quartets“. Ich hatte dieses hier übrigens ebenfalls mit großer Freude und Faszination rezensiert.

Der Grund meiner ähnlichen Einschätzung ist nicht nur erklärbar durch die wieder selben Musiker, sondern insbesondere wohl aufgrund der Tatsache, dass die aktuelle CD die zweite einer auf drei ausgelegten Reihe ist, bei der Molecular den Start der Serie beim Schweizer Label Intakt markierte.

Was erwartet die Zuhörer:innen?

Nun, wer Molecular kennt und es (hoffentlich) auch besitzt, hört nun, wenn man es mal etwas einfacher ausdrücken will, den zweiten Teil, die Fortsetzung aber keine Wiederholung.

Dies ist nicht als Kritik zu verstehen. Im Gegenteil. Mit Aruán Ortiz am Klavier, Brad Jones am Bass und Chad Taylor am Schlagzeug zeigt James Brandon Lewis am Saxophon von der ersten Sekunde wieder an, wo die Reise, wo seine Reise, hingehen soll. 8 Kompositionen, alle von Lewis, geben den anderen Musikern erneut viel Raum für ihr eigenen Vorstellungen.

Aruán Ortiz habe ich übrigens im AJhr 2005 kennengelernt als Pianisten auf dem Album „Junjo“ von Esperanza Spalding und bin seitdem großer Fan seines sehr besonderen, farbenreichen und rhythmusaktiven Spiels.

Einige Male wird auf der CD für ganz kurze Zeit das Fenster zum Free Jazz ein wenig geöffnet, mehr aber nicht. Nur eine Art kurzes Durchlüften, um dann direkt wieder in harmonische Linien und Strukturen zurückzukehren. Keine Angst, das ist kein Free Jazz Album, aber gerade diese kleinen spannenden Ausflüge sind es, die die ungemeine Energie und Power der Band mit unterstützen, ihr eine Art treibendes Fundament geben.

Was das JBL Quartet hier im neuen Album abliefert ist eine nochmalige Steigerung, basierend auf dem ersten Werk „Molecular“.

Ich möchte Lewis nicht herausnehmen, oder gar hervorheben. Auch wenn alle Kompositionen von ihm stammen und sein Sax eine der führenden Rollen im Quartet einnimmt, ist es dennoch erst die starke und intensive Symbiose aller 4 Musiker, die aufgrund einer fast mystischen Fähigkeit des Zusammenspielens eine unglaubliche Transformation schaffen, die die Zuhörer:innen geradezu magisch an- und in die Musik hineinzieht. Diese CD fordert die Zuhörer:innen heraus, bindet sie direkt an die musikalischen Inhalte und deren instrumentalen improvisatorische Umsetzung ein und lässt sie selbst nach dem Ende der CD innerlich nachwirken.

Die Energie, die ich bereits erwähnt habe, ist gar nicht so einfach zu beschreiben wie dies zunächst den Anschein macht. Ich will es dennoch versuchen: Energie, unterstützt und verstärkt durch weitere Merkmale wie: druckvoll, straight, hart im und am Rhythmus ohne schnell zu werden und immer spannend und fordernd. 

Es ist eine eigenartige Art einer Anspannung, die sich dann jedoch in ruhigen und langsameren Passagen wieder auflöst und dort zu einer tiefgreifenden Entspannung führt. Das erstaunliche: Selbst in den ruhigeren Passagen ist eine treibende Kraft und eine Band-Power zu spüren, die süchtig machen kann. Führend ist häufig, ohne sich, seine Aufgabe oder sein Instrument in den Vordergrund zu spielen, das Schlagzeug von Chad Taylor, der sogar in den langsamen Parts mit seinem Spiel die Stücke mit kurzen Zügeln in der Linie hält und zugleich antreibt, um dann immer wieder z.B. durch das Saxophon von Lewis selbst unterstützt zu werden. Meist sind es aber alle 4 Musiker, die sich immer wieder in einen kleinen Rausch spielen. Wie gesagt, selbst wenn es sehr kurze Ausflüge in den Free Jazz gibt, ist dies kein Free Jazz Album, sondern eines, in dem die Musik die Zuhörer durch eine greifbare Energie nicht nur anzieht, sondern sie fest an sich bindet. Sie nicht mehr los lässt.

Sie verlangt die volle Aufmerksamkeit. Keine Sekunde, in der man nicht total konzentriert zuhört und zuhören will. Gefangen in den Stücken, wird man fast ein Teil von diesen. Man fiebert mit den Spannungsbögen mit um die nächsten Changes fast schon herbeizusehnen, nur um dann durch eine nicht erwartete plötzliche Wendung wieder gänzlich überrascht zu werden. Absolut faszinierend!  

Wenn der dritte Teil der Reihe nur annähernd so gut wird wie es die ersten beiden es sind, wird man ohne Übertreibung von einem musikalisch-charismatischen Meilenstein, festgehalten auf einer 3 CDs umfassenden Reise in immer neue Klangwelten sprechen können.

Lewis selbst sieht sich in der Tradition von John Coltrane, Albert Ayler, Cecil Taylor, Eric Dolphy und Ornette Coleman und Sonny Rollins. Das ist schon eine ziemlich selbstbewusste Ansage. Aber, oder gerade deshalb, ist es umso bestätigender, wenn der große Sonny Rollins über James Brandon Lewis sagt, dass er in ihm einen vielversprechenden jungen Spieler mit viel Potenzial sehe, der großes leisten könne, und das, weil er den Älteren zuhöre.

Das ist es: Aufbauend auf Traditionen die Musik immer weiterführen. Kein Bruch nur um des „anders-sein-wollens“, sondern die Fortführung der Jazz-Evolution. Genau so wurde es sicherlich damals in Rezensionen der o.a. Götter des Saxophons geschrieben, als diese selbst jung waren und den Jazz in ihrer Zeit in neue Richtungen und ganz neue Sphären katapultierten.

Mein Fazit zu der CD „Code Of Being“ ist eindeutig:

Unbedingt anhören. Die mitten im Lockdown (Mai 2021) aufgenommene CD ist höchster Kunstgenuss und ein Ausblick in die Zukunft des zeitgenössischen Jazz. Sie ist zudem ein Beweis dafür, dass auch, oder gerade wegen, der Beschränkungen weiterhin unheimlich spannende und absolut phantastische Musik erschaffen werden kann. Einfach großartig!

Intakt CD 371/2021

PS: ich möchte hier noch einmal kurz aktiv und direkt Werbung für das Label machen: Intakt bietet ein Abo an, bei dem man 6 mal im Jahr zu einem wirklich sehr günstigen Preis neue CDs zugeschickt bekommt. Machen Sie es. Ich verspreche Ihnen, dass Sie es schon bald nicht mehr abwarten können, bis Sie endlich wieder ein neues der kleinen flachen Päckchen aus der Schweiz zugeschickt bekommen! Sie erhalten ungemein spannende Musik und das Label bekommt durch die Abonnenten die finanzielle Grundsicherheit, die dann wieder die Produktion weiterer neuer Alben ermöglicht, die Sie dann wieder zugesendet bekommen…Das nenne ich nicht Win-Win, sondern mindestens Win-Win-Win…

https://www.youtube.com/watch?v=vpDXuai8UIw&t=39s

Das Label:

http://www.intaktrec.ch/

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