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Tage Alter Musik  „Tragisch – komisch“  in Herne sind vorbei – eine kleine Nachschau

Das diesjährige Festival ist vorbei, und was ist geblieben? Nun, erst einmal gab es noch einen famosen Schlusspunkt, gesetzt mit Joseph Haydns „La Fedeltà Premiata“ und musiziert von der Capella Augustina und 7 herausragenden Solist:innen, unter der Leitung von Andreas Spering, einem der Haydn Spezialisten am Pult.

Joseph Haydn wird nicht von vielen unmittelbar mit Opern und Singspielen in Verbindung gebracht, obwohl er rund 24 geschrieben hat. Im Jahr 1781 wurde die hier gespielte Komposition uraufgeführt und Haydn selbst war sehr zufrieden damit. Dennoch verschwand das Werk etwas aus dem Fokus der Musikwelt, bis es Ende 1968 schließlich wieder im modernen Gewand neu ur-aufgeführt wurde.

Dieses „Schlusskonzert“ war einfach grandios und meine Frau und ich haben sogar auf dem Weg nach Hause die Oper weiter im Radio verfolgt (WDR 3 hat die Übertragung eine Stunde später gestartet), was wohl schon sehr viel aussagt, oder?

Das dreiaktige Werk ist lang und dennoch schafften es alle Akteur:innen auf der Bühne von der ersten Sekunde an das Publikum geradezu zu fesseln und die wirklich großartigen Sänger:innen wurden alle (!) mit einzelnem tosendem und mit Jubel garniertem Applaus nach ihren prägnantesten Soloparts bedacht und völlig zurecht belohnt. Die Capella Augustina spielte unauffällig und dennoch sehr präsent und immer auf den Punkt, aber niemals prahlerisch, vorlaut oder gar dominierend. Und das war perfekt so, denn diese „Opernfeuerwerk“ bietet einfach den Stimmen den Großteil der Bühne und die 3 Frauen und 4 Männer wussten diese für sich und das Werk zu nutzen.

Mir gefiel die Koloratursopranistin Ylva Sofia Stenberg und der so ungemein wandlungsfähige und mit einer enormen sängerischen Bandbreite arbeitende David Fischer ganz besonders, was aber wohl zum Teil auch an deren persönlichen und so einehmenden Bühnenpräsenz lag. Bei der versetzten Übertragung im Radio auf dem Heimweg hörte ich nur noch die Stimmen und da wurde mir bewusst, wie phantastisch doch alle 7 waren. Wer nicht in Herne war, oder die Übertragung verpasst hat (diese ist in der Mediathek noch einen bestimmten Zeitraum zu hören!) hat etwas wirklich ganz Wunderbares verpasst.

Mein Tipp für Sie: Im nächsten Jahr, bei der 47. Ausgabe der „Tage Alter Musik“ in Herne, kann man sicher die neue Box mit allen Aufnahmen aus diesem Jahr kaufen und diese dann so oft hören, wie man will und das wird, da bin ich mir absolut sicher, sehr oft sein! 

Nun aber noch mal zurück zu meiner Eingangsfrage, was vom Festival geblieben ist. Bei mir ganz klar der Eindruck, nein, die Gewissheit, dass hier wirklich ausnahmslos echte Musikliebhaber:innen am Werk sind, und zwar ganz egal, ob auf, vor oder hinter der Bühne. Seit über 15 Jahren besuche ich dieses Festival nun schon und eines weiß ich heute mehr denn je: Alte Musik ist in Herne eigentlich „neue“ und stets interessante und spannende Musik und der hier zu hörende Bogen vom Mittelalter, den Barock bis in die Romantik ist viel größer als es der Titel vermuten lässt.

Die „Alte Musik“ muss in der Gegenwart, im Hier und Jetzt gespielt werden um eine Zukunft zu haben. Viele Werke verdienen es heute gespielt und dem Publikum vorgestellt zu werden, gerade wenn es die eher nicht so häufig auf den Spielplänen zu findende sind.

So viele dieser Kompositionen sind absolut zeitlos und geben Menschen gerade in der heutigen Zeit viel Trost, neue Zuversicht und die Möglichkeit mit der Musik und allen ihren Emotionen eine sehr persönliche, individuelle und intensive Auseinandersetzung zu erleben.

Die Schönheit der Musik entführt uns für einige Stunden aus der Gegenwart, in der heute leider viele Kulturbereiche nicht mehr den großen Rückhalt in der Gesellschaft zu haben scheinen. In der Politik hat spätestens Corona gezeigt, dass die Kunst, Literatur, das Theater oder die Musik in diesen Reihen wohl ganz offensichtlich nicht (mehr?) als wichtig eingestuft werden. Die Folgen waren bei vielen Künstler:innen katastrophal und die mittel- und langfristigen Auswirkungen für die ganze Gesellschaft werden wir alle in den nächsten Jahren umso stärker zu spüren bekommen.

Ein Leben ohne diese Einflüsse der Kultur und deren unmittelbaren und mittelbaren positiven Wirkungen auf die Menschen, wird viel schwieriger und einseitiger werden und einiges wird vielleicht sogar für immer verloren gehen.

Das Team der „Tage Alter Musik“, WDR 3, die Stadt Herne und alle weiteren Helfer:innen verdienen ein unheimlich großes Lob. Nicht nur für dieses wieder perfekte Festival, sondern besonders auch dafür, dass sie uns allen die Möglichkeit geben, eine solche musikalische Schönheit und dieses Gefühl, das Musik in uns auszulösen vermag, egal ob wir wollen oder nicht, erleben zu können. Meinen tief empfunden Dank Ihnen allen!

Und vielleicht schafft es ja jeder einzelne von uns Besucher:innen im nächsten Jahr jeweils einen jungen Menschen zu einem der Konzerte mit nach Herne zu bringen? Wenn das klappt, könnten diese sich unvoreingenommen der Musik widmen und sich ein eigenes Urteil bilden. Ich weiß, dass gerade die jüngeren Menschen in Kulturfragen nicht so „teilnahmslos oder oberflächlich“ sind, wie sie manchmal in der Öffentlichkeit dargestellt werden und ich selbst kenne einige, die im Anschluss an solche Aufführungen sehr positiv überrascht waren.

Meine Frau und ich freuen uns jedenfalls schon heute auf die 47. Tage Alter Musik in Herne im nächsten Jahr und werde ganz sicher wieder so viele Konzerte wie möglich besuchen. Unser ganz persönlicher Dank geht hier zum Schluss schließlich an Nicola Oberlinger!

Meine weiteren Berichte zum Festival:

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