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Mein Hörtipp: Varre Vartiainen: Almost Standards

Endlich wieder mal ein „Gitarrenalbum aus dem hohen Norden“? Und was für eines. Der finnische Gitarrist Tomi „Varre“ Vartiainen setzt mit seinem neuen Album ein wirklich ungemein starkes Zeichen. Jazz und Rockelemente vereint zu einer wunderbaren Melange mit einem doch klaren Schwerpunkt im Jazz.

Wer das nun alles als zu vorhersehbar oder als „schon so oft dagewesen“ bewertet, liegt falsch. Völlig falsch, da Vartiainen hier nicht nur einfach Rock mit Jazz vermengt, sondern in den beiden Genres wiederum die jeweiligen zahlreichen Spielarten mit großer Kenntnis einbringt, vermengt, ausspielt und weiterentwickelt, um so eine ungeheure Vielfalt zu erzeugen. Keine klassische Fusion, sondern etwas sehr Eigenständiges, das einen eigenen Charakter hat. Und die Band? Neben der Gitarre gibt es eigentlich alles, was als Leadinstrument taugt: Saxophon, Klavier und die Vibes des großartigen Severi Pyysalo. Unterstützt und mit einer sicheren Basis ausgestattet durch Bass und Schlagzeug. Die in Helsinki entstandene Aufnahme stammt schon aus dem Jahr 2019 und wird am 18.03.2022 in Deutschland veröffentlicht.

Bild: www.varrevartiainen.fi

Wenn man liest, wem Vartiainen im Innencover dankt, dann kann man die Musik des finnischen Gitarristen vielleicht sogar ein wenig besser einordnen: Mike Stern und John Scofield. Und ja, beide Einflüsse sind deutlich hörbar.

Vartiainen schafft in jedem der 8 von ihm geschriebenen Song seine ganz individuelle Idee eines rockigen Jazz (oder umgekehrt?) zu verwirklichen und dabei dennoch ein hohes Maß an Abwechslung zu erreichen. Selbst die Ballade: „Dolphin Romance“ driftet nicht ins zu leichte oder gar kitschige ab. Insbesondere das Saxophon spielt eine viel stärkere Rolle als man dies bei einem Album eines Gitarristen vielleicht vermuten würde. Aber genau das ist es, was die CD besonders macht, denn gerade das Saxophon liefert den spürbaren Drive und den starken und treibenden Soundcharakter. Die Songs bieten aber trotz dieser leichten Führungsrolle dennoch allen anderen ebenfalls genug Freiraum eigene Stimmungen und Vorstellungen einbringen zu können und insbesondere das Vibraphon spielt hier als eine Art begleitendes „Zweites-Parallel-Soloinstrument“ viele direkte Reflexionen und zudem eigene wundervolle Solis. Das ist Musik für alle in und mit der Band, die einfach einen riesen Spass macht. Musik, der man konzentriert und interessiert zuhören kann, aber die man einfach mal (gerne lauter) bei einer nächtlichen Autofahrt (oder in meinem Fall Zugfahrt) genießen kann. Wenn man in einem Zug mit zum Teil fast 300 km/h durch die einbrechende Dunkelheit rast, und dieses Album hört, weiß man wieder, was Musik bei einem Menschen bewirken kann. Ein echtes Zuhören im Hier und jetzt, kein nur „Mit-Hören…

Wer glaubt, dass das Genre ausgereizt und nichts Neues mehr bietet, findet hier den Gegenbeweis. Eine Jazz-Rock Platte mit großartiger Musik. Mal ehrlich: Was will man mehr? Und Vorsicht: Viele kleine Nuancen könnten man „überhören“ wenn man die CD wirklich nur im Hintergrund laufen lässt. Gerade die sehr unterschiedliche Dynamik der Instrumente wird sehr gerne als Stilmittel eingesetzt. Auffallend und für viele Elemente des Drives sind übrigens Schlagzeug und Bass, wobei gerade der Bass dominanter in Erscheinung tritt. Er ist immer voll da und immer wieder spürte ich, dass sich mein Kopf sich im Rhythmus des Basses von Timo Hirvonen bewegte und diese Fixierung es wieder nachließ, wenn eines der Soloinstrumente die Führung übernahm. Das übrigens ein Merkmal, dass sich durch alle Stücke zieht und deutlich macht, dass man seine „Hörrichting“ immer wieder wechselt und mal hier und dann wieder dort seine für sich stärker wirkenden Parts wahrnimmt. Das eine ich, wenn ich von der enormen Vielfalt spreche und von der Fähigkeit der Musiker innerhalb weniger Minuten immer wieder aufs Neue musikalische Anreize zu geben.  

Eine großartige CD: Unbedingt reinhören!

Hier wieder ein paar links im Informationen und Videoanspieltipps:

https://varrevartiainen.fi/

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